Der Link-Konflikt und die Abmahnelefanten im Internet (April 2000)
editorial – April 2000
Der Link-Konflikt
und die Abmahnelefanten im Internet
Auch der Linkkonflikt – wie der Domainkonflikt, siehe
Editorial März 2000 – ist ohne Rückblick auf die Geschichte des
Netzes nicht zufriedenstellend zu lösen. Ursprünglich diente das
Netz ausschließlich dem Austausch von Informationen, allerdings in einer
Form, die sich wenig um Urheberrecht und Markenrecht kümmerte. Jeder
Browser enthielt und enthält heute noch ein Button, mit Hilfe dessen
ganze fremde Seiten oder einzelne Bilder auf die eigene Festplatte geladen und
von dort weiterbearbeitetwerden können. Hiervon soll nicht die Rede sein.
Bei der Linkhaftung geht es nicht um das Kopieren fremder Inhalte, sondern um
den Verweis auf fremde Inhalte.
Tim Berners Lee (TBL), einer der Väter des Netzes, hat
der Netzinitiative „Freedom for Links“ einen bemerkenswerten, von Hartmut Semken übersetzten Artikel geschrieben, der den bemerkenswerten Satz enthielt: „An und für sich sollte daher Verwirrung über die Implikation von Links gar nicht aufkommen, aber ich schreibe diese Notiz, da in der jüngeren Zeit einige seltsame Ansichten auftauchen, die das Web ernstlich beschädigen könnten„. Diese Sorge ist berechtigt.
Ohne Links ist das Netz wie ein Gehirn ohne Botenstoffe.
Erstaunlicherweise sind die Links auch nie ein Problem gewesen, solange die
Autoren unter sich waren. Das Problem wurde und wird mit der Kommerzialisierung des Netzes zum Problem. Nicht die Autoren greifen diese Boten der Kommunikation an, sondern die Meinungsindustrie und die herkömmlichen sowie die die neue Markeninhaber. Übersehen wird dabei, dass damit das Netz bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt würde. Es würde zum reinen virtuellen Kaufhaus, von dem nicht sicher ist, ob es noch so viele Besucher anziehen würde, wenn durch die Linkbehinderung sein Charme verloren ginge.
Worum geht es?
Die Zielsetzung beim Design des Web war, dass normale Links einfach nur Verweise sein sollen, ohne irgendeine implizierte Bedeutung.
Nachzulesen war dieser Satz von TLB leider nur im Netz unter http://www.freedomforlinks.de/Pages/linklaw.hml. Die Tatsache, so TLB weiter, dass ein Link vorhanden ist, besagt für sich gar nichts. Daran kann sicher nicht gezweifelt werden. Ebenso wenig kann andererseits daran gezweifelt werden, dass der Kontext um den Link oder die Bezeichnung des Links selbst ein Zueigenmachen des Textes sein, sei es, dass man sich des Inhaltes als eigenem berühmt, also das Urheberrecht des Autors verletzt, sei es, dass man sich den evtl. strafbaren Inhalt zu eigen macht.
So weit so gut.
Neuere Tendenzen geben aber zu Bedenken Anlass, da sie auch
das Risiko des gutwillig Linkenden so unangemessen erhöhen, dass die
Seele des Netzes tangiert ist. So wird von einem Schweizer Verfahren berichtet, dass gegen einen Professor gerichtet ist, der auf eine Seite gelinkt hat, die wiederum auf eine Seite mit rechtsradikalen Tendenzen führt. Ähnliches
berichtet die Bildzeitung. Das Familienministerium hatte auf eine renomierte
Suchmaschine gelinkt. Mit Hilfe derer über eine weitere Seite auch auf
Callboy-seite verwiesen wurde. Die „Bild“übliche Schlagzeile führte nun dazu, dass die Familienministerin panikartig zurückschreckte und die Seite vom Netz nahm. „Bild Dir Deine Meinung “ bekommt damit seine eigene Bedeutung, wobei die unerfreulichste hierbei ist, wie schnell unsere Bundesregierung vor Schlagzeilen der Boulevardpresse zurückschreckt und wie wenig sie letztlich vom Netz und seiner Bedeutung für die Meinungsbildung versteht. Immer unterstellt, die Herren der Redaktion der Bildzeitung wussten überhaupt, was sie taten. Immerhin muss als Fazit gezogen werden, dass hier ein weiterer Versuch gegeben ist, die Netzautoren zu verunsichern. Wer kann noch über drei Linkecken übersehen, auf welcher Seite man schließlich landet.
Eine weitere Unsicherheit bringt eine Ausweitung des Markenrechts, der offensichtlich erst einmal das OLG München zum Opfer gefallen ist. Die Rede ist von dem derzeit wellenschlagenden „Explorer“-Fall. Der Tatbestand: In den USA wird unbeanstandet eine Software unter der Bezeichnung FTP-Explorer angeboten und es ist anzunehmen, dass insoweit in den Staaten wenigsten eine Common-law-Marke entstanden ist, für die eine reine Benutzung ausreicht. Eine Fülle von Websites pflegt nun auf freie und unfreie Software zu verweisen, um Kollegen Hilfestellung zu geben. So wurde auch von vielen Seiten auf diese Software verwiesen. Nun gibt es aber in Deutschland eine Marke EXPLORER, an die sogar Microsoft Lizenzen genommen haben soll. Nach Auffassung der Inhaberin der deutschen Marke EXPLORER soll nun jeder, der auf diese in den USA absolut legale Software unter diesem Namen verweist, eine Markenverletzung begehen. Das würde bedeuten, dass jeder, der auf Produkte auf einer fremden Seite verweist, prüfen müsste, ob evtl. dieser Marke eine deutsche oder
europäische oder internationale mit Schutz in der BRD entgegensteht. Wenn
sich diese Auffassung durchsetzen sollte, wäre das der Tod der freien
Berichterstattung namentlich über freie Software.
Noch schlimmer würde die Situation durch die extensiv Anwendung des besonders rigiden deutschen Wettbewerbsbewerbsrechtes. Da ist über Link schnell ein Mitstörer ausgemacht.
Den Anfang hat hier das OLG Hamburg gemacht, dessen Begründung in der Entscheidung MITWOHNZENTRALE weitere Abmahner auf den Plan gerufen hat, die die Meinung vertreten, jeder Domainname, der aus einem Gattungsbegriff bestehe, verstoße gegen gute Wettbewerbssitten, da er den Wettbewerb auf einen Anbieter kanalysiere.
So hat die Rechtsabteilung der Zentrale gegen den unlauteren Wettbewerb jüngst ein Schweizer Unternehmen abgemahnt, das die angeblich höchst unsittliche Bezeichnung http://www.sprachen.ch führt. Nach Auffassung der deutschen Sittenwächter sollte dies eine unsittliche Steuerung der Verbrauchersuche sein. Übersehen haben die Herren der über die guten Sitten wachenden Rechtsabteilung aber den Balken im eigenen Auge. Da gibt es neuerdings nämlich eine Domain
http://www.wettbewerbszentrale.de. Dort soll eine eine neue
Webpräsenz der Zentrale gegen den unlauteren Wettbewerb entstehen.
Offensichtlich hat diese dem Unternehmen, dass diese Webpräsenz schaffen
soll, aber nicht über die mores aufgeklärt, die die Zentrale auch
Ausländern lehren will. Ob die Herren der Rechtsabteilung sich jetzt auch
selbst anmahnen? Oder liegt hier einen Fall akuter Schizophrenie vor?
Vielleicht meinen die Hüter der guten Sitten im Wettbewerb auch: “
Quod licet jovi, non licet bovi„.
Unabhängig davon, wie diese Fragen in Deutschland entschieden werden, wird sich die Frage erheben, ob unsere bekannt rigiden Abmahnvereine, die alles Neue erst einmal für sittenwidrigen Wettbewerb halten, wirklich ausländische Anbieter deutsche mores lehren können und wie diese wohl darauf reagieren.
Wenn dann auch Links auf ausländische Seiten mit freierem Wettbewerb für deutsche Contentanbieter verboten werden können, kann jeder Anbieter sich nur noch in seiner eigenen Website bewegen.
Man hat das Netz mal voller Hoffnung ein weltweites Gehirn genannt. Was aber ist ein Gehirn ohne seine Botenstoffe?
HJK